Große langandauernde Ausgrabungsprojekte bedeutender archäologischer Fundstellen mit dem Ziel der Rekonstruktion der Vergangenheit werden immer mehr ergänzt und abgelöst durch den großflächigen Einsatz zerstörungsfreier, nicht-invasiver bildgebender Verfahren zur Auffindung und detaillierten Kartierung des im Boden verborgenen archäologischen Erbes. Naturwissenschaftlich-technische Methoden der Fernerkundung oder der geophysikalischen Prospektion werden dabei in interdisziplinärer Zusammenarbeit von Archäologen und Historikern mit Geophysikern, Geomatikern, Geologen, Informatikern und Technikern für die geisteswissenschaftliche Fragestellung adaptiert und spezifische Meßsysteme entwickelt, welche im Bereich gesamter archäologischer Landschaften zum Einsatz gebracht werden (archpro.lbg.ac.at). Die archäologische Auswertung der hochauflösenden magnetischen, elektrischen und elektromagnetischen Daten der Messaufnahmen aus der Luft und am Boden erfolgt durch die Umsetzung der Messwerte in georeferenzierte hochauflösende Bildinformation. In kurzer Zeit lassen sich so aus den verschiedenen gemessenen physikalischen Parametern digitale zwei- und dreidimensionale Abbildungen der im Boden verborgenen Strukturen erzeugen. Die reale archäologische Landschaft wird in eine virtuelle Landschaft umgewandelt, die interdisziplinär unter Einbezug archäologischen Wissens und mit Hilfe softwarebasierter Werkzeuge im Sinne einer virtuellen Ausgrabung erforscht werden kann. Die dabei im Untergrund entdeckten Überreste von Gebäuden, Flursystemen, Transport- und Verbindungswegen, Gräberfeldern und Befestigungsanlagen berichten über die Struktur, Nutzung und die Entwicklung der untersuchten archäologischen Landschaft durch die Zeit. Spätestens an diesem Punkt treffen jedoch die unterschiedlichen erkenntnistheoretischen Ansätze konventioneller Geisteswissenschaften und der Naturwissenschaften aufeinander. Verschärft wird diese Problematik wenn aus der integrierten Interpretation aller zur Verfügung stehenden Daten und des bestehenden historischen Wissens virtuelle Rekonstruktionsmodelle zur Veranschaulichung der Erkenntnisse erstellt werden und eine computergenerierte Wirklichkeit (virtual reality) bildlich und erfahrbar manifestieren. Kontroversen im Spannungsfeld eines nur teilweise überwundenen Objektivismus in der Archäologie, welcher in der Wirklichkeit der Ausgrabung - einem nicht wiederholbaren und zerstörenden Experiment - die ultimo ratio der Wahrheitsfindung sieht und neueren Ansätzen wie dem radikalen Konstruktivismus, der die subjektive Wahrnehmungen basierend auf dem visuellen Erkennen und vorhandenem Wissen als Grundlage für die Konstruktion der virtuellen Rekonstruktionsmodelle als subjektiv wahrgenommenes Bild der Realität versteht, sind vorgezeichnet. Exemplarisch für interdisziplinäre Geisteswissenschaften soll anhand von aktuellen Beispielen aus dem römischen Carnuntum, Stonehenge und dem wikingerzeitlichem Weltkulturerbe in Skandinavien das erkenntnistheoretische Dilemma veranschaulicht und thematisiert werden.